<131> Zeit, auf die Wandlungen zu blicken, die sich während des Krieges im übrigen Europa vollzogen, und zu sehen, wie die politischen Beziehungen der Mächte sich trübten und Anlaß zu neuen Gruppierungen gaben.

Durch den Tod Ludwigs XIV. (1715) erhielt die Regierung Frankreichs ein ganz neues Gesicht. Von der zahlreichen Nachkommenschaft des Monarchen war nur sein Urenkel übrig geblieben, der noch in der Wiege lag1. Der Urgroßvater hatte seinen legitimierten Sohn, den Herzog von Maine, zum Präsidenten des Regentschaftsrates eingesetzt. Aber dem König, der bei Lebzeiten so unumschränkt geherrscht hatte, wurde nach seinem Tode schlecht gehorcht. Das Parlament urteilte über die Ansprüche des Herzogs von Orleans2 und des Herzogs von Maine, oder richtiger gesagt: es erhob sich zum Schiedsrichter über den letzten Willen des verstorbenen Königs und entschied, daß Philipp von Orleans als erster Prinz von Geblüt unzweifelhaftes Anrecht auf die Regentschaft habe.

Die Politik des neuen Regenten setzte sich zwei Hauptziele. Das eine war die Aufrechterhaltung des Friedens mit seinen Nachbarn. Dadurch wurde er bewogen, sich mit dem Kaiser freundschaftlich zu stellen und eine innige Verbindung mit dem König von England einzugehen. Das andere Ziel war die Abtragung der Kronschulden, die ungeheuer angewachsen waren. Das gab Veranlassung zu dem Lawschen System3. Sein Plan war sehr nützlich, schlug aber durch Mißbrauch zum Unheil aus.

Der Regent war ein Mann von hoher Begabung, doch hatte er auch die Fehler lebhafter und kühner Naturen. Die weitgreifendsten Ideen kamen ihm so einfach vor wie die alltäglichen. Rückhaltlos überließ er sich den Regungen seiner feurigen Phantasie, die ihm die Dinge oft in verzerrender Vergrößerung darstellte. Er war für die Künste geschaffen und pflegte sie, hatte aber auch die Schwächen der Helden. Sein Temperament verleitete ihn zur Galanterie. Er machte den Abbe Dubois zum Kardinal, nicht sowohl wegen seines Verdienstes um den Staat, als vielmehr, weil er der geheime Diener seiner Passionen war. Die Verleumdung wagte es, den menschlich milden Fürsten des scheußlichsten Frevels zu bezichtigen, des Planes nämlich, sein Mündel, den König zu vergiften. Ein nutzbringendes Verbrechen flößt edlen Seelen freilich nicht geringeren Abscheu ein als eine sinnlose Untat; aber die wahre Verteidigung des Regenten ist doch, daß Ludwig XV. zur Regierung gelangte.

Um Frankreich den Frieden zu sichern und jede Gelegenheit zu Streitigkeiten aus dem Weg zu räumen, schloß der Regent zu Antwerpen den Barriere-Traktat (1715). Dadurch erhielten die Holländer das Recht, in Namur, Veurne, Tournai, Ypern, Menin und das Fort Knocke Besatzungen zu legen4, für deren Unterhalt das Haus Österreich jährlich 600 000 Gulden aufzubringen hatte. Dagegen verzichtete Hol-


1 Der Prinz (geb. 1710) bestieg den Thron als Ludwig XV.

2 Herzog Philipp, Neffe Ludwigs XIV.

3 Vgl. S. 140.

4 Vgl. G. 125. Die Festungsbarriere in den spanischen Niederlanden, die durch den Frieden von Rastatt und Baden in österreichischen Besitz übergegangen waren, diente den Holländern als Schutz gegen Frankreich.